Wenn wir in Kontakt mit unserem wahren Selbst sind, haben wir Zugang zu unseren Quellen der Inspiration und Kreativität. Wir schöpfen aus einer unendlichen Weisheit und vertrauen unserer innersten Führung. Das wäre der Idealfall, jedoch sind wir meist meilenweit davon entfernt. Weshalb ist das so?
- Weshalb brechen wir diesen so wichtigen Kontakt einfach ab?
- Weshalb müssen wir uns erst wieder auf den Weg zu uns selbst begeben?
- Weshalb fällt es uns so schwer uns zu fühlen?
- Weshalb stehen wir uns dabei selbst so sehr im Weg?
Die Frage ist, weshalb wir uns überhaupt auf den Weg zu uns selbst machen müssen und weshalb wir nicht einfach wir selbst sein können.
Dazu ist es wichtig, das Thema „Gefühle“ unter die Lupe zu nehmen. Denn betrachten wir unsere aktuelle Gesellschaft, reduziert sich der Umgang mit unseren Gefühlen eher auf den Versuch, sie nicht zu fühlen! Das liegt daran, dass wir bereits in frühen Kindertagen auf schmerzhafte Weise gelernt haben, bestimmte Gefühle zu fürchten oder dass es schlichtweg besser ist, sie erst gar nicht zu haben. Als Folge daraus haben wir uns in den Jahren danach regelrecht darauf trainiert, Gefühle wegzudrücken oder gar nicht zu fühlen. Das funktioniert eine Weile ganz gut, bis uns bewusst wird, dass wir dafür einen hohen Preis bezahlen. Unserem Leben fehlt die Lebendigkeit, die Leidenschaft und die Unbekümmertheit.
Dann leben wir, wie Khalil Gibran es so schön beschrieb:
„…in einer Welt ohne Jahreszeiten, wo du lachen wirst, aber nicht dein ganzes Lachen – und weinen, aber nicht all deine Tränen.“
Und zu allem Überfluss haben wir uns selbst dabei aus den Augen verloren. Durch alle Strategien der Anpassung und des Funktionierens, haben wir irgendwann keine Ahnung mehr, wer wir wirklich sind und was wir wirklich wollen im Leben. Wir suchen den Weg zurück, haben aber keine Ahnung, wo wir beginnen sollen.
Um eine Antwort darauf zu finden, müssen wir zunächst einmal verstehen, wie all das zustande gekommen ist.
Betrachten wir kleine Kinder im Alter von 2 bis 3 Jahren, so können wir beobachten, dass sie alle Gefühle noch in ihrer vollen Intensität fühlen, so wie sie gerade kommen. Zunächst die Freude beim Schaukeln, dann die Frustration beim Sturz, die Entspannung beim Trösten, der Spaß beim Herumtollen mit dem Hund, neues Leid, wenn sie unsanft umgestoßen werden – und so geht es immer weiter. Kinder halten die Gefühle nicht zurück. Sie leben voll im Moment, mit allem, was gerade da ist.
Mit der Zeit machen die Kinder die Erfahrung, dass es nicht gut ist, die Gefühle immer so ungehemmt nach außen zu tragen. Sie lernen, sich für bestimmte Gefühle zu schämen, sie nicht mehr zu zeigen, sie zu unterdrücken oder zu überspielen.
Bestimmte Gefühle sind ganz besonders schmerzhaft und nur schwer zu ertragen. Es geht dabei in erster Linie um Gefühle der Einsamkeit, Hilflosigkeit, Ohnmacht, Trauer, Enttäuschung, Scham und Bedürftigkeit. Wir unterdrücken diese Gefühle und packen sie weg. Aber gerade dadurch bleiben diese Gefühle für immer vor unserer Tür stehen und verlangen Einlass. Das ist anstrengend, denn sobald wir nicht aufpassen, überfluten uns diese unerlösten Gefühle nur um so heftiger.
Aus dieser Problematik entwickeln wir zielsicher die nächste Strategie. Sobald wir Gefahr laufen, mit den unterdrückten Gefühlen konfrontiert zu werden und den damit verbundenen Schmerz zu spüren, reagieren wir mit den “Abwehrenden Gefühlen“, die da wären: Wut, Hass, Eifersucht, Misstrauen, Geiz, Neid, Missgunst, Gier, Selbstgefälligkeit, Sturheit und viele andere. Abwehrenden Gefühle sind primär eine Schutzschicht gegen den Schmerz und verhindern, dass wir wahrnehmen, was die Wahrheit in uns oder unserer Umgebung ist. Wir schützen uns gegen alles, was uns verletzen könnte, indem wir es abwehren, bevor es uns berühren kann. Das stellt wiederum auch die Problematik dieser Strategie dar. Wir isolieren uns immer mehr von den anderen – gleichzeitig wird die Sehnsucht nach Liebe, Anerkennung und Zugehörigkeit immer größer. Meist wird uns auch signalisiert, dass es nicht gut ist wütend, laut und aggressiv zu sein.
Damit kommen wir zur letzten Strategie, mit der wir nun den größtmöglichen Abstand zu unserem wahren Wesen herstellen. Wir verbergen die abwehrenden Gefühle unter einer Maske der Anpassung. Wir sind nun nicht mehr wahrhaftig, sondern verleugnen die eigenen Gefühle und passen uns an. Wir richten uns nach dem, was von uns erwartet wird und zeigen nur noch wenig von unserem ursprünglichen Wesen. Wir perfektionieren dieses Spiel immer mehr und irgendwann kommen wir an dem Punkt, an dem wir keine Ahnung mehr haben, wer wir wirklich sind.
Die gute Nachricht! Hinter all den Strategien und Verhaltensweisen ist noch immer die gesunde Lebenskraft am Werk, die uns ruft und die wir in stillen Momenten auch spüren können. Unser wahrer, lebendiger Kern ist nach wie vor da und wartet auf unsere Entscheidung. Bei der Reise nach innen geht es nicht um die Beseitigung und Auflösung der schmerzhaften Gefühle und Erinnerungen, sondern um deren Integration. Der einzige Weg, mit ihnen umzugehen ist daher der, sie genau anzuschauen, ihnen in keinster Weise auszuweichen und sie vorbehaltlos anzunehmen. Jedes dieser unterdrückten Gefühle ist wie eine Prüfungsfrage. Entweder wir können uns ihr stellen, oder wir laufen weg davor. Wenn wir weglaufen, sind wir noch nicht stark genug, mit dem Fluss des Lebens zu gehen.
Das Paradoxe ist: In dem Moment, in dem wir unsere unterdrückten Gefühle annehmen, werden wir erkennen, dass alle Versuche uns zu sichern nur wieder in der statischen Panzerung enden werden, mit der es uns letztlich immer schlechter gehen wird, als mit der verletzlichen Lebendigkeit. Nur das völlige Einverstanden-sein mit dem, was wir um jeden Preis loswerden wollen, macht uns wirklich frei. Wir kämpfen nicht länger gegen das, was uns Schwierigkeiten bereitet oder versuchen es loszuwerden, sondern wir erkennen es als Teil unserer Geschichte an und geben ihm einen guten Platz. Dadurch kann es sich wandeln. Die Kraft, die bislang dafür aufgewendet wurde, die unliebsame Erfahrung zu verdrängen, wird frei und das Potential dahinter steht uns zur Verfügung. Es wachsen uns sozusagen neue Kräfte und Fähigkeiten zu.
Menschen, die den Weg zurück zum Kern ihrer Lebendigkeit und Lebensfreude beschritten haben, werden häufig als still und schöpferisch erlebt. Selbst in schwierigen Lebenssituationen ruhen sie in sich und sind nicht mehr Spielball von Kräften, die im außen wirken. Spirituelles Wachstum und Weiterentwicklung, für das vorher hart gerungen wurde, ergeben sich fortan auf dem Weg meist von selbst.
Wo stehst Du gerade auf Deinem Weg zu Dir selbst?